gedichte

gemälde: ursula holly, 2006
gemälde: ursula holly, 2006





aus welcher luft

bist du gegriffen

 

mit welchem recht

ist dir dies angetan

 

woher nehmen

was auch mich nähme

an

hin

 

bist du

du

 

bist du noch

in unserer geschichte






 

 

 

die wildgänse fort

 

 

die wildgänse fort, der herbstmond dünn

vor frost, im wald nur noch gefallene blätter

und ein weg, der nicht zur welt hin führt -

 

erst gestern saßen und redeten wir

bis in die puppen -

 

ein traum, all unser tun und lassen -

ein vergehender gesang, der immer schon

von etwas anderem handelte -

 

 

 

 

nicht gut genug

 

 

glaub mir, ich tauge nicht für dich -

schon darum, weil ich nicht dazu tauge,

auf deine spezielle art heuchelei einzugehn

und dich zu unterhalten mit hübschen geschichten

von bienlein und vöglein und blümelein schön;

glaub mir, ich bin nicht gut genug,

die dinge so zu sehn

 

 

 

 

du bist 

 

 

du bist

das neue

noch ungesprochene

wort

zwischen

meinen worten                         

und wirst dich

darin finden

 

keimen

wachsen

wird es dort

am ende

dich entbinden

 

 

 

vom unsagbaren

 

 

vom unsagbaren, das einer mit sich nimmt

die weidenblätter flüstern es sich zu

die krähen krächzen es in den wind

die steine verständigen sich darüber

in der sprache der steine

 

 

 

kleine suite

 

 

I

grenzgängerei. gerade noch den nächsten schritt überlegt, schon hinübergewesen. in der gegenrichtung. unweigerlich, unwiderruflich

 

II

zu viele achtel- und sechzehntelnoten, sich hinabsenken in die basslinie. wo das dunklere, langsamere glühen ist. es gibt stimmlagen, die verwerfen das tageslicht. auf der suche nach beweisen. weil man wieder mal nicht bei sich war

 

III

tigern, tigern, die ganze länge des hauses auf und ab, stundenlang. blau ist das sehnen und dumm wie der himmel, zu dem es schreit

 

IV

so geht man ständig mit sich selbst um wie mit einem kriminellen. kriminelle sind schlau, blitzschnell entziehen sie sich dem zugriff. finden immer ein versteck. warten ihre zeit ab, dann springen sie. die achtel und sechzehntel rasten aus. kakophonie

 

V

ein dahliengarten. jeden sommer am zaun stehn und schauen – auf das unsichtbare schild: betreten verboten. das nie mehr. in eine nacht aus abertausenden sternschnuppen eingehen. am rande. darüber hinaus

 

 

 

 

all die zeit

 

 

ich weiß nicht

wie ich wußte

und nicht, warum

ich mich machte

bereit

für das eine

all die zeit

 

 

 

beinahe schweigen

 

 

es ist minuten später

die sonne ist hinunter

kein stein blieb auf dem andern

 

kein sinken mehr, kein steigen

beinahe ist es schweigen

 

 

 

ein paar stillen, frühen morgenstunden ...    

 

 

ein paar stillen frühen morgenstunden

habe ich meine liebe erklärt

wohl verstanden sie meine liebe zu ihnen

und auch meiner liebe zu dir haben sie

ihr verstehen am ende gewährt

 

so leben sie, diese stunden, in einklang

mit deinem wesen, das in ihnen ist

mich gebe ich hin dem stillen lesen dessen

was sie mir sind

was du mir bist

 

 

 

stillpunkt

 

 

I

als ich ein stern war

in kaltklarer nacht

ein grün durchleuchteter

raum im flieder

die blume nichts

als blume war

ein wort

sich schweigend ereignete

als ich mein teil

der erde war

 

 

II

ein schauender schatten am wege

etwas geht vorüber

in den hohlräumen hallt es wider

zwischen den hecken, den zeichen

summen entfernter gefühle

 

das licht brennt immer noch

der tag ist viel zu lang

 

ein schauernder schatten am wege

 

 

III

mitunter

legt sich aller wind

das meer ebbt und flutet

saumlos, erfüllt

vom warmen strom

und der mund sagt still

warte nicht mehr

träum allein

den traum

 

 

 

eine kleine heimlichkeit

 

 

ich habe eine kleine heimlichkeit
mit dem mond
und mit einem baum
und mit dem wind
ich muß ein kleines geheimnis haben
mit manchen dingen
wie ein kind

 

 

 

leben

 

 

einmal

im leben sein, einmal im leben

sein - das keine

ruhe gibt - das nicht wahr ist, ist

bevor es nicht

durch das wort erfüllt

verzaubert, gesteigert, über alle

grenzen getrieben, bevor es nicht

gesprochen verschwiegen

 

 

 

die stille zerstörung

 

 

sich nicht mehr

erheben

über nichts

und niemand

 

wissen

daß der Herr nicht nur gibt

 

warten nur noch

auf den längst vergangenen

tag, an dem ich dir

nie begegnet 

sein werde

 

 

 

kleine briefe, referenzen

 

 

kleine briefe, referenzen

geistern im raum  

 

teilen

mit sich

 

du sagst, das gibt es nicht

aber man weiß nie

 

für alles eine ewigkeit

brauche ich

 

 

 

wird es tragen?

 

 

kreise
die wir ziehen
denen wir
nachgehn
sie werden
enger
die schritte
zögernder
auf dem weg
in die mitte
des alten
labyrinths

wird es tragen?

der mond entgleitet
der blick braucht
solchen halt nicht mehr
letzte wellen
gehen sanft an land
die wolken
haben es auf einmal
eilig
gräser, abgeblüht
ihr samen verweht
und auch das lächeln
im einverstand            

 

 

 

krypta

 

 

stehenlassen

die schwellen im haus beachten

daß man gehen können muß

daß es weiter gehen kann

dem wind ein haar schenken

ein paar haltestellen überspringen

gummistiefel bereithalten für die gäste

langmut üben an sarkophagen

das wort rampe ertragen

das wort rampe ertragen

noch mal von vorn

wer sie ist, la belle dame sans merci

dies alles ergründen      

 

 

 

unverrichteter Dinge

 

 

wenn die Silben ihren Ausweg

gefunden haben

sind sie nur leichte

Gabe von Leben

einer Musik, deren Laute so wenig

zueinander passen wie diese

 

denn ich habe dein Haar

weiß werden sehen

deine weitgereiste

Traurigkeit

auf dich ist

so sehr vieles gerichtet

doch eigentlich nur ein

monotoner Ton

der nie enden will

 

daß es nicht wieder schwindet

wenn wir

unverrichteter Dinge, gehen

den Mund stillegen

uns so setzen, daß kein

Licht auf uns fällt

und es ganz gleich ist

was unser Teil war

 

etwas bildet sich

alles Ungetane

das in Worten bleibt

für die Zeit, wenn der Name

nicht mehr erscheint

aus dir spricht Stille –

ich werde es nicht

so weit bringen, ich werde

früher als du

fertig sein

 

 

 

bleib

 

 

augenblicke

keiner vergessen, in jedem

andere    

 

es wird dauern

 

wie ein dieb

stehle ich mich zurück, sicher

 

daß ich dort - wo

schon einmal war

 

der horizont um diese zeit

ist hell

 

das ist so nichts sagend

 

bleib

so wirst du bei mir sein, mein            

weg führt durch dich

 

dann nimmt das schauen mich hin

zu meinem

wilden flecken erde

 

 

 

unverwandt

 

 

leicht abgerissen gehe ich umher

kein anlaß mehr für die guten sachen

jeans, t-shirt und ein großes hemd

 

und in meiner hand

ein vogel, der längst davongeflogen

noch immer starre ich auf ihn

unverwandt

 

 

 

du bist ein stern

 

 

du bist ein stern

du leuchtest mir

und leitest mich

auf dem weiten meer

wer weiß, wohin

du bist ein ganzes

sonnensystem

mal schimmernd blau

mit nichts zum fassen

mal widerscheinend

und voll von einschlägen

wo harte steine

niedergingen

mit einer eisschicht

unter der haut

bist strahlend heiß

und abgestorben

und mit so manchem

gut versteckten

unentdeckten

planeten am sausen

bist brodelnd und schleudernd

sanft erwärmend

nah und sehr fern

du bist mein stern

 

 

 

von anfang an

 

 

von anfang an
dem vor und wieder
von wind und tiden
dem meeresklang
an stille entlang
ehe sie entglitten

 

 

 

monolog

 

 

erkennst du es wieder

man rennt nie weit genug

was ist ich rede mit dir

du wirst auch durch dieses

wochenende kommen

ich habe gefehlt

man kann fehlen und fehlen

das geht in mir in mich

und durch als wär ich allein

ich bin nicht allein

es ist nur so nichts will taugen

als das ganz ganz große

das du vergibst

das dir nicht vergibt

 

 

 

nebel

 

 

was vor mir ist, sehe ich in schichten.

wie kulissen.

man kann auch zu viel vom theater wissen.

 

 

 

die kreatur

 

 

wir sprechen vor uns hin

warten auf ein ohr

um zu leben

wenn keiner uns hört

so sterben wir

so schreien wir

wenn wir geboren sind

gib mir, gib mir

so ist es eben

 

wir sprechen laut

wir sprechen leis

unser ganzes leben

so ist das eben

gibt niemand uns etwas

so sterben wir

 

dann schwinden wir

dann geben wir auf

dann murmeln wir nur noch

vor uns hin

kommt nicht mehr drauf an

so ist es eben

dann sterben wir

 

 

 

toteninsel

 

 

ein boot legt ab

fährt auf stillem gewässer

die schwarzen wolken

fliegen davon

ein boot legt an

eine weiße gestalt

geleitet die hülle        

über die schwelle         

bis an den mund

der dunklen zypressen

 

 

 

klartext

 

 

mit dem namen fing es an

dann plötzlich klartext

man setzt sich voraus

bleibt dahinter zurück

dem ungreifbaren wandel

blumengarten, minenfeld

die nehmen sich gemeinsam

das letzte bild vor

das noch blieb

 

 

 

weltverhältnis

 

 

wer die wolke sagt

weiß er denn nicht

daß es die wolke nicht gibt

und doch sagt er die wolke

tausend mal

und anders

und wieder

 

weil er sie liebt

weil sie ihn liebt

 

 

 

furcht

 

 

wenn nichts den tag mehr hebt

ein stern aus holz

im fenster behelf

und draußen fährt ein sturm

was noch ist, in fetzen

 

dann ist sie da, die furcht

vor dem inneren kahlschlag

der kommen wird

der den letzten zauber

mit sich nimmt

zauber, ohne den

leben sich nicht will

 

 

 

mir

 

 

einmal fand ich

eine einzige rose

es gibt sie nicht wirklich

oder nur so

gerade eben

 

 

 

unreduzierbar

 

 

das verhaltene wort

erweist sich – etwas

bist du ohne alles

ein sinnlos schlagendes

herz, aus dem ich

nicht weniger machen kann

als es ist